Mustergültige Kulturarbeit an Schulen

Schon seit einiger Zeit gibt es in Hessen das Projekt “KulturSchulen”. Die teilnehmenden Schulen arbeiten gemeinsam daran, Kulturarbeit in den Schulen zu erleichtern, Schüler für ausserschulisches Kulturangebot zu interessieren und somit neue Lernfelder auf der Bühne oder vor der Bühne zu schaffen. In diesem Rahmen konnten schon tolle Poetry Slam Workshops oder Weckworte Projekte an Schulen verwirklicht werden. Klasse Ding.

Von den äußerst liebenswürdigen Machern dieses Projektes wurde ich gebeten einen Text über die Poetisierung von Schulen zu schreiben. Es geschah:

Mach mal nen Punkt

Das ist für die Ritter des Morgens, die sich in den Labyrinthen aus Stühlen und Tischen tapfer und täglich mit Stiften dem Endgegner Lehrkörper stellen.

Die die Schulbusse bändigen und auf ihnen ins Ungewisse reiten.

Die kiosküberfallenden Pausenbanditen auf ihrer Jagd nach 15 Minuten Ruhm in den Freiräumen zwischen zwei Doppelstunden

Für die bis zum Hals mit unvollbrachten Wundern geladenen Lebenszeitbomben Für die Piraten und Piratinnen auf den Papierozeanen in den Dierke-Atlässen
Für die, die gelernt haben, dass die Mehrzahl von Atlas Atlanten ist

Die Hitzefreiheitskämpfer und Referendarsdompteure Die verwegenen Spickzettelspione und Nachhilfehelden Die Glaubenichtse
Die Reclamrekruten

Das ist für dich, wenn du glaubst, dass Gedichte nur vergilbte Gedanken aus trockener Tinte auf Papier aus toten Bäumen in den Schränken deiner Schule sind.

Dann mach mal nen Punkt

Nimm dir einen Stift und mach mal nen Punkt.

Deinen ganz eigenen Punkt. Deinen Ausgangspunkt, der Anfang des nächsten Satzes an dessen Ende ein neuer Punkt steht an dessen Ende ein neuer Satz steht, an dessen Ende ein neuer Punkt steht, an dessen Ende ein neuer Satz steht, so wie der Mond einen Punkt hinter jeden Tag macht und die Sonne einen Punkt hinter jede Nacht macht. Bis der Mond wieder einen Punkt hinter den Tag macht, bis die Sonne wieder einen Punkt hinter die Nacht macht.

Mach mal genau so einen Punkt, weil jeder Punkt in einem Text dein persönlicher Mini-Urknall ist, der ein Universum schafft, mit einem Sonnenystem aus Grammatik, in dem Planeten aus Worten um eine Sonne aus Poesie kreisen und in einem kleinen Raumschiff aus Fantasie sitzt ein Alien namens „Wahnsinn“ und winkt dir freundlich zu.

Mach mal einen Punkt für all die ungedachten Ideen, die unaufgeschriebenen Wörter und die unausgesprochenen Sätze und die unglaublichen Geschichten, die sich in deinem Kopf stapeln. Lass sie bitte nicht verstauben.

Und darum mach mal nen Punkt, weil Gedichte Graffittis hinterlassen, in Neonfarben auf deinen Gehirninnenwänden, die täglich von Sorgen und Problemen grau überstrichen werden. Aber. Du. Hast. Mehr. Farbe.

Mach mal nen Punkt, denn Schreiben ist kostenloses Achterbahnfahren auf den Windungen der Buchstaben, ist wie stundenlanges Kreiseln in der Innenseite des Buchstaben O in der Mitte des Wortes „Wow“

Mach doch einfach mal nen Punkt und kletter mit einem ein Seil aus ineinandergehakten g’s auf den Gipfel eines As und rutsch auf einem rollenden R wieder runter. Hol ein D aus deiner Tasche und halt dich an seiner graden Seite fest, bis sich sein Bogen im Wind bläht und du abhebst. Lande auf einer Wiese und melk dir in ein U eine Extraportion Milch aus einem freilaufenden Q.

Mach mal nen Punkt für den Style der Zeilen. Für die supersweeten „Hab dich ganz doll lieb“ Softies-Sätzen mit den Smileys auf den T-Shirts und mach mal nen Punkt für die ganz üblen Text-Typen, mit den ganz starken Verben und den tätowierten Ausrufezeichen.

Mach mal nen Punkt, und dann daraus ein Fragezeichen, das Schweizer Taschenmesser unter den Satzzeichen, dein Helfer in allen Lebenslagen. Halte deine Fragezeichen stets sauber, griffbereit und geladen und frage schneller als dein Schatten. Wo geht’s hier zum Hafen? Hast du ein Problem? Liebst du mich? Machst mal nen Punkt?

Mach mal nen Punkt, denn genau mit diesem Punkt fängt das Wort „ich“ an und genau darum geht es hier: um dich. Mach mal nen Doppelpunkt, weil die Welt vor dem was kommt den Atem anhält.

Mach mal nen Punkt für die Poetry des Phythagoras, „a2 x b2 gleich c2“, denn Mathe ist auch nur Poesie, in der sich Zahlen und Buchstaben vereinen und das richtige Ergebnis ist, wenn sich am Ende die Zahlen reimen.

Mach mal nen Punkt für den Poesiesportunterricht, wenn dein Stift galant über das Spielfeld gleitet, zwei Rechtschreibfehler ausdribbelt, schießt und trifft und das ganze Stadtion ruft „Reim! Reim! Reim!“

Mach mal nen Punkt für die Poetry der Kunst, wenn ich dir verrate, dass die Mona Lisa nur lächelt, weil sie grade ein lustiges Gedicht von Heinz Erhardt gelesen hat.

Mach mal nen Punkt für mich, weil ich es früher selbst nicht besser wusste und In der Grundschule dem Mädchen in das ich verliebt war einen Stein aus meiner Steinsammlung schenkte statt es wenigstens mit Poesie zu versuchen:

Kerstin ich wollt dir nur sagen
Du gehst mir durch meinen Magen So wie Liebe und das Essen
Ich kann dich nicht mehr vergessen

Mach mal nen Punkt weil jeder Reim einem RTL2 Redakteur einen Pickel auf der Stirn wachsen lässt Weil in dieser Welt voller Emoticons sich mal wieder jemand um die echten Gefühle kümmern muss Weil die Xavier Naidoos uns Tim Bendzkos nicht gewinnen dürfen
Weil du gebraucht wirst

Weil du es wert bist
Weil wir Leute brauchen, die diese Aufzählung weiterschreiben

Weil ich jetzt nicht mehr kann
Und jetzt kommst du


Punkt

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