Auftragsnummern

Hinter mir liegen drei Tage Poetry Slam Workshop im Rahmen des Georg Büchners Festivals “Büchner200” in Darmstadt. Erfahrene, weniger erfahrene und vollkommen unerfahrene Jugendliche aus ganz Deuschland kamen selbst organisiert nach Darmstadt, kamen per Mitfahrgelegenheit und Zug, schliefen in Jugendherbergen und Couchsurfingcouches. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Begleitet wurde das Projekt von Sacha und Tommy von der Liechtensteiner Gruppe “Benefactum”. Mit ihrer mobilen Küche bekochten sie schon Gorleben Demonstrationen, die Occupy Proteste in Frankfurt und viele andere, auch unpolitischere Veranstaltungen: immer vegan. Nach Möglichkeit kochen diese Meisterköche mit Lebensmitteln, die der Handel oder der Erzeuger weggeworfen hätte. Wie viele Lebensmittel das sind konnte ich mit eigenen Augen in Darmstadt sehen und mit eigenem Kopf auf Deutschland hochrechnen und feststellen, wie wichtig es ist, durch solche Aktionen auf diese haarsträubende Verschwendung von Ressourcen aufmerksam zu machen.

Workshop und Essen waren umsonst bzw. gegen kleine Spende erhältlich. So wurden wir in den drei Tagen zu einer Anlaufstelle für Bedürftige, Obdachlose und Banker gleichermaßen. Mich hat erstaunt, wie viele Menschen die tolle Büchnerbox am Hauptbahnhof sehen, die vielen Menschen davor, ein Poet auf einer Bühne, die Schilder die auf veganes Essen und Poesie hinweisen und dann zum Hauptbahnhof gehen um dort die üblichen Yormas-Sandwiches zu kaufen.

Ich konnte beobachten, wie sehr sich der größer werdende soziale Aspekt unseres Projektes auf sie Texte der Poeten ausgewirkt haben. Die jungen Dichter halfen tatkräftig mit, das Essen zu machen und zu verteilen, deckten die Tische für Obdachlose und verzauberten mit Texten von höchstem Niveau und Relevanz.

Genau das ist es, was mir bei den meisten Poetry Slams fehlt: Relevanz. Politisches Engagement über den FDP Witz hinaus. Die Texte der jungen Dichter aus dem u20 Bereich strotzen vor Mitteilungsbedürfnis über die Missstände in der Welt und ihre eigene Rolle darin. Ein Großteil der Texte der etablierten Slam Poeten strotzen vor nichts. Oberflächlichkeit und Angst vor Aussage und Pathos. Kein Schmackes, etwas Neues zu wagen, etwas mit Sprengkraft zu behaupten. Wer es tut wird gleich Kabarettist genannt.

Ich finde, dass es die Aufgabe der Slam Poeten ist, das Privileg zu nutzen, Tag vor so vielen zuhörenden Menschen stehen zu können. Das habe ich vor 2010 im Anbetracht der politischen Ereignisse in Tunesien gedacht, vor Kurzem wegen den Protesten in Istanbul, bei jedem Text von Till Reiners, den Beat Poeten und bei jedem Text von irgendeinem Slam Poeten, der mir schon kurz nach dem üblichen “Danke” wieder total egal war.

Denn leider wurde das Publikum in manchen Teilen des Landes so erzogen, von Poetry Slammern Unterhaltung zu erwarten. Die weitläufige Meinung, Poetry Slams seien von lustigen Texten dominiert ist altbacken, wenn auch in Teilen richtig. Es ist aber nicht der Poetry Slam an sich, der von lustigen Texten geprägt ist, sondern das Booking der Veranstalter, die Angst haben, die Leute laufen weg, wenn plötzlich die Lyriker oder die Politischen kämen, weil zu Gunsten der Unterhaltung die ersten 20 Slams allesamt so gebucht wurden, dass die Leute vor Lachen in die Club Mate weinten.

In jeder Diskussion über witzige Texte beim Poetry Slam sage ich, dass Poetry Slam zur Unterhaltung gemacht wurde und nur weil das Publikum lacht, heißt es nicht, dass auf der Bühne gerade Comedy stattfindet. Poetry Slam soll Spaß machen, dazu gehören ausgelöste Traurigkeit, Wut oder Lachen gleichermaßen. Der Lachanlass ist entscheidend: Machen wir uns mit kalauernden Proleten gemein oder berühren wir die Leute mit dem was uns mal ausgemacht hat: Spaß mit Worten, Nochniegesagtem, Nochniesogesagtem und echter Poesie. Dass das geht sieht man zum Beispiel auch hier:

Ich glaube, dass Poetry Slam auch eine politische Auftragsnummer hat. Und dass das Publikum diesem nicht verschlossen ist. Slam Poeten können Themen originell und witzig ausdrücken und auch mit schwierigen Themen unterhalten. Wenn es doch nur mehr täten! Es würde das Profil der Slam Poetry im Speziellen und des Poetry Slams im Allgemeinen stärken. Wenn man schon beim Poetry Slam mitmacht und einem alles egal ist, dann sollten die anderen aufpassen, dass der Poetry Slam als Ganzes nicht egal wird.

One Response to “Auftragsnummern”

  1. J. Says:

    Ich finde, das Besondere am Poetry Slam ist, dass es nicht nur lustige Texte gibt und nicht nur ernste. Die Texte sind schnell, langsam, laut, leise, lustig, ernst, Kurzgeschichten, Gedichte, über Politik und Themen wie Menschlichkeit und über die Frage ob Nudeln genervt sind, wenn sie zusammen in eine Schüssel gequetscht werden. Alles ist erlaubt. Gäbe es diese Vielfalt nicht, ginge zumindest für mich ein wesentlicher Teil der Magie verloren.

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