Weckworte
November 3rd, 2012Schön! Das Video über mein Alzheimer Poesie Projekt Weckworte ist wieder aufgetaucht:
Schön! Das Video über mein Alzheimer Poesie Projekt Weckworte ist wieder aufgetaucht:
Checkt man die Playlists der deutschen Slam Poeten stelt man fest, dass viel Rap gehört wird. Wenige rappen selbst, mancher nur betrunken und die meisten sehen überhaupt nicht so aus (zumindest nicht so, wie viele Leute Rap Fans beschrieben würden) . Dennoch zieht sich gar der arhythischste Storyteller Musik mit Sprechgesang rein. Die Lösung ist leicht: Sie vereint das gesprochene Wort.
Leider trauen viele Menschen der Rapmusik nicht mehr über den Weg. Dabei gibt es dort echte Virtuosen mit echten Texten und besten Ideen, bei denen etablierte Poesielegenden staunend aber mutig die Mucke lauter machen. Mein lieber Freund Sebastian 23 und ich haben mit der Reihe Word! ein Experiment gewagt: Wir laden uns einen unserer liebsten Slam Kollegen und einen unserer liebsten Rap Künstler ein und schauen was passiert, wenn sich Rap und Slam Poetry auf der Bühne begegnen. Bisher zu Gast in Frankfurt und Bochum waren Edgar Wasser und shoRdy. Volle Erfolge! Das Slam Publikum und das Rap Publikum vertrugen sich wie erwartet bestens und feierten gemeinsam bass verblüfft über die Skillz der anderen Seite. Nun gibt es im Dezember eine Fortsetzung mit Andy Strauß aus Münster und Umse! Hier der Flyer und ein kleines Video, das Umses literarische Fähigkeiten beweist.
Schon seit einiger Zeit gibt es in Hessen das Projekt “KulturSchulen”. Die teilnehmenden Schulen arbeiten gemeinsam daran, Kulturarbeit in den Schulen zu erleichtern, Schüler für ausserschulisches Kulturangebot zu interessieren und somit neue Lernfelder auf der Bühne oder vor der Bühne zu schaffen. In diesem Rahmen konnten schon tolle Poetry Slam Workshops oder Weckworte Projekte an Schulen verwirklicht werden. Klasse Ding.
Von den äußerst liebenswürdigen Machern dieses Projektes wurde ich gebeten einen Text über die Poetisierung von Schulen zu schreiben. Es geschah:
Mach mal nen Punkt
Das ist für die Ritter des Morgens, die sich in den Labyrinthen aus Stühlen und Tischen tapfer und täglich mit Stiften dem Endgegner Lehrkörper stellen.
Die die Schulbusse bändigen und auf ihnen ins Ungewisse reiten.
Die kiosküberfallenden Pausenbanditen auf ihrer Jagd nach 15 Minuten Ruhm in den Freiräumen zwischen zwei Doppelstunden
Für die bis zum Hals mit unvollbrachten Wundern geladenen Lebenszeitbomben Für die Piraten und Piratinnen auf den Papierozeanen in den Dierke-Atlässen
Für die, die gelernt haben, dass die Mehrzahl von Atlas Atlanten ist
Die Hitzefreiheitskämpfer und Referendarsdompteure Die verwegenen Spickzettelspione und Nachhilfehelden Die Glaubenichtse
Die Reclamrekruten
Das ist für dich, wenn du glaubst, dass Gedichte nur vergilbte Gedanken aus trockener Tinte auf Papier aus toten Bäumen in den Schränken deiner Schule sind.
Dann mach mal nen Punkt
Nimm dir einen Stift und mach mal nen Punkt.
Deinen ganz eigenen Punkt. Deinen Ausgangspunkt, der Anfang des nächsten Satzes an dessen Ende ein neuer Punkt steht an dessen Ende ein neuer Satz steht, an dessen Ende ein neuer Punkt steht, an dessen Ende ein neuer Satz steht, so wie der Mond einen Punkt hinter jeden Tag macht und die Sonne einen Punkt hinter jede Nacht macht. Bis der Mond wieder einen Punkt hinter den Tag macht, bis die Sonne wieder einen Punkt hinter die Nacht macht.
Mach mal genau so einen Punkt, weil jeder Punkt in einem Text dein persönlicher Mini-Urknall ist, der ein Universum schafft, mit einem Sonnenystem aus Grammatik, in dem Planeten aus Worten um eine Sonne aus Poesie kreisen und in einem kleinen Raumschiff aus Fantasie sitzt ein Alien namens „Wahnsinn“ und winkt dir freundlich zu.
Mach mal einen Punkt für all die ungedachten Ideen, die unaufgeschriebenen Wörter und die unausgesprochenen Sätze und die unglaublichen Geschichten, die sich in deinem Kopf stapeln. Lass sie bitte nicht verstauben.
Und darum mach mal nen Punkt, weil Gedichte Graffittis hinterlassen, in Neonfarben auf deinen Gehirninnenwänden, die täglich von Sorgen und Problemen grau überstrichen werden. Aber. Du. Hast. Mehr. Farbe.
Mach mal nen Punkt, denn Schreiben ist kostenloses Achterbahnfahren auf den Windungen der Buchstaben, ist wie stundenlanges Kreiseln in der Innenseite des Buchstaben O in der Mitte des Wortes „Wow“
Mach doch einfach mal nen Punkt und kletter mit einem ein Seil aus ineinandergehakten g’s auf den Gipfel eines As und rutsch auf einem rollenden R wieder runter. Hol ein D aus deiner Tasche und halt dich an seiner graden Seite fest, bis sich sein Bogen im Wind bläht und du abhebst. Lande auf einer Wiese und melk dir in ein U eine Extraportion Milch aus einem freilaufenden Q.
Mach mal nen Punkt für den Style der Zeilen. Für die supersweeten „Hab dich ganz doll lieb“ Softies-Sätzen mit den Smileys auf den T-Shirts und mach mal nen Punkt für die ganz üblen Text-Typen, mit den ganz starken Verben und den tätowierten Ausrufezeichen.
Mach mal nen Punkt, und dann daraus ein Fragezeichen, das Schweizer Taschenmesser unter den Satzzeichen, dein Helfer in allen Lebenslagen. Halte deine Fragezeichen stets sauber, griffbereit und geladen und frage schneller als dein Schatten. Wo geht’s hier zum Hafen? Hast du ein Problem? Liebst du mich? Machst mal nen Punkt?
Mach mal nen Punkt, denn genau mit diesem Punkt fängt das Wort „ich“ an und genau darum geht es hier: um dich. Mach mal nen Doppelpunkt, weil die Welt vor dem was kommt den Atem anhält.
Mach mal nen Punkt für die Poetry des Phythagoras, „a2 x b2 gleich c2“, denn Mathe ist auch nur Poesie, in der sich Zahlen und Buchstaben vereinen und das richtige Ergebnis ist, wenn sich am Ende die Zahlen reimen.
Mach mal nen Punkt für den Poesiesportunterricht, wenn dein Stift galant über das Spielfeld gleitet, zwei Rechtschreibfehler ausdribbelt, schießt und trifft und das ganze Stadtion ruft „Reim! Reim! Reim!“
Mach mal nen Punkt für die Poetry der Kunst, wenn ich dir verrate, dass die Mona Lisa nur lächelt, weil sie grade ein lustiges Gedicht von Heinz Erhardt gelesen hat.
Mach mal nen Punkt für mich, weil ich es früher selbst nicht besser wusste und In der Grundschule dem Mädchen in das ich verliebt war einen Stein aus meiner Steinsammlung schenkte statt es wenigstens mit Poesie zu versuchen:
Kerstin ich wollt dir nur sagen
Du gehst mir durch meinen Magen So wie Liebe und das Essen
Ich kann dich nicht mehr vergessen
Mach mal nen Punkt weil jeder Reim einem RTL2 Redakteur einen Pickel auf der Stirn wachsen lässt Weil in dieser Welt voller Emoticons sich mal wieder jemand um die echten Gefühle kümmern muss Weil die Xavier Naidoos uns Tim Bendzkos nicht gewinnen dürfen
Weil du gebraucht wirst
Weil du es wert bist
Weil wir Leute brauchen, die diese Aufzählung weiterschreiben
Weil ich jetzt nicht mehr kann
Und jetzt kommst du
Punkt
Vor nicht allzu langer Zeit, es war das Jahr 2009, da organisierte ich die ersten hessischen Poetry Slam Meisterschaften 2009. In Marburg war das. Die besten Poeten aus Hessen oder hessischen Ursprungs wurden von ihren Slammastern für den Hessenslam nominiert. 2010 dann wieder. 2011 das Highlight: Der Hessenslam als Teil des Open Flair Festivals in Eschwege. Untoppbar. Ich versuche es trotzdem und leite vom 27. bis 29. September den Hessenslam 2012 in Gießen. Hier das hübsche Plakat:
Toll, wo einen Poetry Slam hinweht. Vom 27. Juni bis 9. Juli bin ich für das Goethe Institut in Indien. Ich gebe Poetry Slam Workshops in Bangalore, Pune und Mumbai. Mit großem Finale und einigen Shows. Hier das bereits legendäre Plakat:
Die nächste Abenteuer im Ausland ist unweit wilder: Anfang September halte ich eine Woche Poetry Slam Workshop an der Universität Liechtenstein.
Mein neuer Text “Holger die Waldfee”. In Arbeit: “Volker Racho”.
Kennst du das Haus wo die Omma drin wohnt
Das letzte der Straße am Rande der Stadt
Wo nach dem Asfalt gleich ein Acker beginnt
Der brach liegt seit keiner mehr Landwirtschaft hat
Das Haus, dessen Hausnummer lange vergessen
Und doch kennt es jeder und weiß wo es ist
Tu nicht als ob du das Haus nie gesehen
Es weiß wie du heißt und weiß auch wo du bist
Das Haus, das von efeuenen Armen umarmt
Als werde es selbst bald ein Stück der Natur
Dem Dach sind mehr Krähen als Ziegel geblieben
Von schwarzem Gefieder geformte Frisur
Davor wächst im Garten ein Brennnesselmeer
Darin eine Katze die Nacktschnecken jagt
Im Holz der Fassade erbricht sich ein Wurm
Der zuviel Lasur von den Brettern genagt
Dort wohnt jene Omma, das wissen die Kinder
Und jene die innerlich Kinder noch sind
Die Mär von der Omma im Haus in der Straße
Wo nach dem Asfalt gleich der Acker beginnt
Jeder weiß irgendwen anders zu kennen
Der jemanden kennt, der behauptet von sich
Die Omma sei nachts in sein Zimmer gekommen
Ich weiß du kennst Omma, die Omma kennt dich
Sie sah dich am Samstag im warmen September
Die Ferien schlugen dir rot ins Gesicht
Das Fenster zur Straße, Gardinen dahinter
Die Omma, die sah dich, doch du sahst sie nicht
Du liefst in gedankenversunkener Weise
Auf warmen Asfalt auf der Straße vorbei
Ausser der Zeit und dem Glück eines Kindes
Den Fußball und eine Mark achtzig dabei
Die Omma war wachsam, sie hat dich gesehen
Das Fenster war sauber und doppeltverglast
Sie hat auch gesehen wie du mittel Vollspann
Den Ball Richtung Omma und Doppelglas tratst
Es war keine Absicht, das glaub ich dir gerne
Das blanke Entsetzen stand dir im Gesicht
Heute noch hörst du das Klirren von Scherben
Wenn wieder der Omma ihr Fenster zerbricht
Der Ball liegt noch heute bei Omma zu Hause
Das Fenster ist immer noch nicht repariert
Gardinen verwehen im eisigen Luftzug
Vielleicht hat die Omma ja nie existiert?
Nachts, wenn du aufwachst in schwitznassen Laken
Dann glüht deine Haut wie der Strassenasfalt
Die Bettdecke hat dich wie Efeu umarmt
Das Fenster steht auf und dein Zimmer ist kalt
Du bist nicht alleine, ein Schatten bewegt sich
Hör auf dich zu kneifen, das ist hier kein Traum
Mach doch das Licht an, dann siehst du was los ist
Ich glaube bei dir steht die Omma im Raum
Die grauweißen Haare voll winziger Scherben
Das Gehen strengt an und du hörst wie sie keucht
Ohne ein Wort gibt sie dir deinen Fußball
Sie ist dir nicht böse, sie ist nur enttäuscht
Langsamen Schrittes geht Omma nach Hause
Der Ball in den Händen wiegt unendlich schwer
Während du schläfst wird er wieder verschwinden
Und du träumst von Katzen im Brennnesselmeer
Was all das bedeutet kann ich dir nicht sagen
Wie soll ich das wissen, wenn du’s nicht mal weißt
Die Lösung wohnt unweit am Ende der Straße
Frag einfach die Omma, die weiß was das heißt
Kaum eine Sache in meinem Leben läuft so konstant wie der Marburger Poetry Slam. 50 Stück haben wir nun schon im KFZ auf die Beine gestellt. Bis auf einen habe ich alle moderiert. Für die Zukunft wünsche ich mir die nötige finanzielle Unterstützung durch die Leute mit Geld um Poetry Slam Workshops auf die Beine stellen zu können. Wir brauchen Nachwuchs, liebe Leute mit Geld!
Hier eine sehr schöne, kleine Dokumentation mit interessanten Einblicken in einen Backstageraum:
Gegründet als Nachfolgeorganisation von SMAAT, der Boygroup des Poetry Slams, gehen Sebastian 23 und Lars Ruppel mit ihrem Programm “Duettsyndrom” ab 2012 auf Tour durch die Welt. Hier ein Ausschnitt von den deutschsprachigen Poetry Slam Meisterschaften 2011 in Hamburg. Letztendlich wurden wir Dritter. Nice!